3000 Kilometer bis Santiago de Compostela
Im Gegensatz zu den meisten Pilgern aus österreich, startete er in der Steiermark und legte in den folgenden drei Monaten über 3000km zurück. Nachfolgend sein Bericht über diesen unvergesslichen Weg:
Am 20. Juni 2011 bin ich mit geteilten Gefühlen in Ratten (Bez. Weiz) nach einer den Erwartungen entsprechenden Messe mit Pilgersegen durch Regens Krautwaschl gestartet, um zu Fuß nach Santiago de Compostela in Nordwest-Spanien zu pilgern. Was ich damals gedacht habe: Seelische Entspannung, über drei Monate Abenteuerurlaub, Erfahrungen, die das folgende Leben prägen würden. Als ich dann vom Schmerz gequält in Weiz sprichwörtlich ins Bett gefallen bin und in Graz noch aufpassen musste, bei jedem Schritt nicht direkt auf die Blasen zu treten, haben sich diese Gefühle rasch wieder verflüchtigt.
Doch schon am österreichischen Weg habe ich gemerkt, wie schön dieses Leben als Pilger (oder um den Abt von St. Paul im Lavanttal zu zitieren: "Landstreicher, Herumtreiber, Vagabund") sein kann, wenn sich die Füße einmal an die Strapazen gewöhnt haben, wenn man merkt, wie willkommen man überall ist, wo man hinkommt und wie getragen man von seiner Familie und seinen Freunden ist. Ich wurde überall aufgenommen, wo ich hingekommen bin, wurde auf schweren Wegstrecken begleitet von Präfekt Edlinger, später von seiner ganzen Gruppe, dann einmal von unserem Ungarischen Austauschseminaristen Marcell Szekely, ab Genf von meinen Eltern und über die Pyrenäen von Regens Krautwaschl und habe gelernt, wie schän es sein kann, wenn man dem Rat unseres Weihbischofs, franziskanisch zu leben, folgt.
Es gibt natürlich zwei Formen von Leid, das man unterwegs auch zu ertragen hat: das körperliche und das psychische Leid. Beides lässt sich am Beispiel "Südtirol" schon recht eindringlich erklären: An meinem ersten Tag in Südtirol bin ich um drei Uhr nachmittags schon in das angestrebte Toblach gekommen - viel zu früh! Doch wie es das Pech eben so will, begann es gerade, als ich mich dazu entschlossen hatte, weiterzugehen, in Strömen zu regnen. Ich habe rasch Zuflucht in einem Café gefunden und bin dort dann fast drei Stunden (bis der Regen eben nachgelassen hat) untätig gesessen. Ich hatte nichts zu Lesen, telefonieren wäre zu teuer gewesen, zum Tratschen habe ich niemanden gefunden. Voll Ärger über all das habe ich mein Nachtlager in einer lauten Jugendherberge bezogen und um das Verlorene wieder gutzumachen am nächsten Tag noch vor sechs Uhr aufgebrochen. Nach 56 Kilometern mit nur einer Pause und 29 Stunden ohne feste Nahrung bin ich verzweifelt und körperlich halbtot in einem günstigen Gasthof zur Ruhe gekommen. Die Fersen haben geblutet, die ganze Fußsohle war angeschwollen, mein Knie hat geschmerzt und mein Gedanke, in Innsbruck für heuer aufzuhören wurde immer größer. Auch den nächsten Tag habe ich noch durchlitten, aber über den Brenner war es plötzlich wieder so wunderschön, Innsbruck habe ich genossen und gemeinsam mit Marcell bin ich wieder guten Mutes aus Innsbruck hinausgezogen um von da an tatsächlich bis zur Kathedrale von Santiago nicht mehr zu ruhen.
Die Schweiz erwies sich als sehr regenreich (Ich bin acht Tage in Folge durch den Regen marschiert), aber trotz dem und trotz der finanziellen Anstrengungen in diesem doch recht teuren Land, war es voll von Begegnungen und schönen Erfahrungen, besonders mit den ersten "Mitpilgern", die ich hier getroffen habe. Ebenso wie Österreich boten mir auch die Schweiz und Frankreich Klöster, in denen man nicht nur physisch zur Ruhe kommen konnte.
Ob bei Zisterziensern, Dominikanerinnen, Benediktinern, Karmelitinnen oder Barmherzigen Schwestern, überall standen für mich die Klosterpforten offen und ein warmes Essen, wunderschöne Stundengebete, ein weiches Bett und vor allem spannende Gespräche mit den Schwestern und Brüdern erwarteten mich.
Im Herzen Frankreichs begegnete ich dann das erste Mal einem österreichischen Pilger - Gerd aus Salzburg traf ich zwischen Le Puy und Santiago immer wieder. Und knapp vor der spanischen Grenze kamen dann noch Matthias (ebenfalls aus Salzburg) und Pia aus Berlin dazu, die dann endgültig das einsame Pilgerleben in eine Gemeinschaftserfahrung der besonderen Art verwandelten.
Und dann, am 21. September, genau drei Monate und ein Tag nach meiner Abreise, stand ich erfüllt von Freude am danach benannten Monte do Gozo, Berg der Freude, von wo aus man das erste mal nach Santiago hinunterschauen kann. Lange hatte ich diesen Moment erwartet - und dann blickte ich hinunter in eine Nebelsuppe. Durch die grauen Schwaden ging der Weg durch die Vorstadt, durch die Altstadt und plötzlich, wie aus dem nichts, ragt die Grabeskirche des Apostels Jakobus heraus, der Ort, zu dem hin ich über drei Monate lang auf dem Weg war. Und nachdem die Freudentränen langsam getrocknet waren, die Sprache wieder zurückgekehrt war und der Potafumero (riesiger Weihrauchkessel in der Kathedrale) geschwungen war, bereitete ich mich gemeinsam mit Christian Rothwangl auf die Heimkehr vor.
Nach drei Tagen in Santiago landete ich in Wien Schwechat und wurde sowohl dort als auch im Priesterseminar in Graz von einem überraschenden Empfangskomitee erwartet.
Heute blicke ich auf die drei bestimmt härtesten Monate meines Lebens zurück, aber zeitgleich waren es drei der schönsten und auch wichtigsten!
Lukas Weissensteiner